Vandana Shiva, wer kennt sie nicht? Die Trägerin des alternativen Nobelpreises aus Indien, bekannt als Ökofeministin und Gegnerin der Gentechnologie, bekämpft die Patentierung von Saatgut durch multinationale Konzerne. Mit der optimistischen Rebellin sprach SÜDWIND-Redakteurin
VANDANA SHIVA: Zuerst einmal, weil Biodiversiät unser Leben bestimmt und unsere Identität ausmacht. Ohne sie sind wir gar nichts. Biodiversität, das sind wir.
Zweitens: Der Süden und wir sprechen hier von zwei Drittel der Weltbevölkerung verfügt über wenig Kapital. Wir haben nicht die Finanzkraft, die das Überleben bestimmt. Unsere Stärke liegt woanders: unser Kapital ist die Biodiversität. Es ist kein Zufall, dass in ganz Lateinamerika, Asien und Afrika Wohlstand mit Biodiversität verbunden wird. Die Massai definieren Reichtum in der Anzahl der Rinder, die sie besitzen, Geld lehnen sie ab. In Indien zum Beispiel spielt Reis bei Festlichkeiten eine sehr große Rolle.
Der dritte Grund ist, dass wir wissen, dass Biodiversität ein gemeinsames Gut ist. Es ist nichts , das irgendjemand besitzen kann.
Sie kämpfen gegen die Ausbeutung der Natur und gegen die multinationalen Konzerne.
Schwäche bringt Brutalität und Aggressivität hervor. Ich glaube, dass sich die Machthabenden und jene, die das Kapital besitzen, schwach und unsicher fühlen, deshalb wollen sie alles zerstören, was sich außerhalb ihres Einflussbereiches befindet. Sie wollen nämlich die Kontrolle über alles haben.
Die Konkurrenz innerhalb der multinationalen Konzerne ist dermaßen groß, dass ihnen jedes Mittel recht ist, die Stellung am Markt zu halten: Patentierung, Gentechnologie, die Aussaat von genmanipuliertem Saatgut ohne vorherige Tests das sind nervöse Kurzschlusshandlungen.
Die Quantenphysik lehrt uns, dass selbst wenn man ein Teilchen vom anderen teilt, es immer noch dasselbe Teilchen bleibt. Und wirkt man auf eines davon ein, so hat es auch Auswirkungen auf das andere. Beide sind Teile desselben Systems. Dasselbe gilt für ökonomische Interessen. Wenn also Konzerne im Norden ein Interesse an der biologischen Vielfalt im Süden haben, dann sind die Interessen miteinander verwoben, Teile desselben Systems. Folglich, wenn Monsanto indische Landwirte dazu drängt, sein Saatgut zu kaufen und auch seine Pestizide zu verwenden, wodurch die landwirtschaftlichen Erträge sinken, die Böden ausgelaugt werden, die Abhängigkeit von den Industrieprodukten steigt, die Armut am Land zunimmt und die Bäuerinnen und Bauern als einzigen Ausweg oft nur mehr den Selbstmord sehen, dann muß man hier den Zusammenhang sehen.
Wenn Sie sagen, dass alles miteinander verbunden ist, wie schaut dann der Widerstand aus? Ist Widerstand folglich Teil des Systems und nur innerhalb dessen möglich?
Nein. Es gibt Teile des Systems, die es zulassen, außerhalb zu agieren. Viele Teile des Systems sind nicht in mir. Ich habe mein eigenes Bewusstsein und meine eigenen Wertvorstellungen. Und das gibt mir die Freiheit, die ich brauche, um auf das System einwirken zu können. Du bist im System, wenn dein Herz und Kopf absorbiert wurden. Um Widerstand leisten zu können, ist es wichtig, außerhalb zu stehen.
Wird der Protest gegen Monsanto in Indien weitergeführt?
Jedes Jahr haben wir Treffen und öffentliche Anhörungen, was den Kampf um das Saatgut und gegen Multis wie Monsanto anbelangt.
Der Kampf muss weitergeführt werden. Billiges Getreide überschwemmt Indien. Indische Bäuerinnen und Bauern können ihre Preise nicht halten. Sie sind innerhalb eines Jahres auf 20 Prozent der ursprünglichen Höhe gesunken.
Das heißt, dass sie 80 Prozent ihres Einkommens verloren haben. Und die multinantionalen Konzerne wollen uns beweisen, dass ihr billiges Getreide und die Gentechnologie die Armut beseitigt. Nein! Dieses System schafft Armut und nicht umgekehrt.
Die indische Regierung hat dem Import von billigem Getreide zugestimmt?
Wir wurden gezwungen, unseren Markt zu öffnen.
Was ist Ihre Meinung zu den TRIPS-Verhandlungen? (Indien muss laut dem WTO-Übereinkommen über geistige Eigentumsrechte TRIPS erst ab dem Jahr 2005 Produktpatente einführen; Anm. d. Red.)
Das TRIPS-Abkommen ist total unfair. Es geht dabei wieder um Kontrolle und Macht. Brasilien sollte bestraft werden, nur weil es gegen das TRIPS-Abkommen verstoßen hatte, indem es billigere Medikamente zur Aids-Bekämpfung herstellte. Auch in Südafrika wollte man den Verkauf günstiger Aids-Medikamente unterbinden.
Der Kampf gegen die TRIPS-Vereinbarungen ist einer der grössten moralischen Kämpfe gegen die Ungerechtigkeit. Als während der Kolonialzeit AfrikanerInnen als SklavInnen in die Kolonien nach Amerika gebracht wurden, hielt das jeder für normal. Es war nur natürlich, dass Schwarze für die Arbeit auf den Plantagen und somit für den wirtschaftlichen Fortschritt eingesetzt wurden. So ist das auch heute. Man findet nichts daran, dass multinationale Konzerne die Welt mit allen Mitteln beherrschen wollen. Wir müssen uns aber dieselbe Frage stellen: Ist es wirklich normal, dass multinationale Konzerne die Biodiversität zerstören?
Auffallend an Indien ist, dass es so viele starke Frauen gibt, die gegen das System ankämpfen. Und das in einer Gesellschaft,in der Frauen nicht gerade viele Rechte haben. Wie erklären Sie sich das?
Das ist vergleichbar mit dem Phänomen, dass die EuropäerInnen sagen, sie wollen keine gentechnisch manipulierten Lebensmittel, während man sich in den USA keine Sorgen diesbezüglich macht. Das liegt daran, dass in den USA die Menschen manipuliert wurden, sie leben im System und haben deshalb kein unabhängiges Denken außerhalb des Systems.
So ähnlich ist das mit uns Frauen in Indien. Gerade weil man uns aus allem draußen haben wollte, konnten wir uns ein unabhängiges Denken bewahren, das den Widerstand gegen das System möglich macht.
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